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INTERESSANTE ZEITUNGSMELDUNGEN

 

 

Quelle

Südkurier  ;   www.skol.de

Erscheinung

27.11.98

Schlagzeile

Mit Neigetechnik ins Fahrplanloch

 

MIT NEIGETECHNIK INS FAHRPLANLOCH - EIN IR FÄLLT WEG

Verkehrsclub Deutschland diskutiert in Konstanz die Sparpläne der Deutschen Bahn AG

Das zumindest scheint festgezurrt: Ab Fahrplanwechsel '99 verkehren zwischen Stuttgart und Zürich fünf schnelle Zugpaare mit Neigetechnik. Die Fahrzeit wird zweidreiviertel Stunden dauern, die Teilstrecke zwischen Singen und Stuttgart soll der Neigezug in einer Stunde und 49 Minuten zurücklegen. Damit wäre er acht Minuten schneller als die heute verkehrenden D-Züge. Fünf Zugpaare im Zweistundentakt - mit Fahrplanlöchern in beiden Richtungen - das ganze acht Minuten schneller als bisher - das ist der Fortschritt der Marke Deutsche Bahn AG.

Daß die Konstanzer Vertreter des Verkehrsclub Deutschland (VCD) darüber nicht gerade begeistert sind, verwundert nicht. Sie luden den freiberuflichen Nahverkehrsberater Ulrich Grosse, zugleich Gründungsmitglied des VCD, aus Tübingen zu einer Vortragsveranstaltung ein mit dem Thema: 'Anbindung des westlichen Bodenseeraumes an den Schienenfernverkehr - aktuelle Entwicklung und künftige Möglichkeiten'. Über Gäubahn (Singen-Stuttgart) und Schwarzwaldbahn (Konstanz-Offenburg) ist nicht nur der westliche Bodenseeraum an den Fernverkehr angeschlossen, sondern auch teilweise der Hochrhein und der Schwarzwald. Die aktuellen Entwicklungen werden bestimmt durch den Einsatz des ICT, einem deutschen Neigezug mit ICE-Komfort. Drei Zugpaare sollen ab Mai zwischen Stuttgart und Zürich verkehren, die beiden anderen mit Neigetechnik sind die italienischen Cisalpino, die bis Mailand durchfahren.

Wirtschaftlich wird der ICT nicht verkehren, weiß Ulrich Grosse. Das weiß auch die Bahn, weshalb Gerüchte auftauchten, sie wolle nun doch auf einen ICT-Einsatz auf der Gäubahn verzichten. Da diese fünf Zugpaare Ende September auf der internationalen Fahrplankonferenz in Bern beschlossen wurden, wird die Bahn nicht umhinkommen, sie auch verkehren zu lassen. Sie wird sich freilich den Komfort mit einem saftigen Zuschlag der Kunden bezahlen lassen, denn eine ICT-Garnitur kostet rund 30 Millionen Mark. Um die Züge auszulasten, braucht die Bahn neue Fahrgäste. Nach Untersuchungen eines schweizer Verkehrsberatungsunternehmens ließe sich das Fahrgastpotential auf der Gäubahn verdreifachen, allerdings war man bei dieser Analyse von acht und nicht von fünf Zugpaaren ausgegangen. Ein großer Teil würde von der Schwarzwaldbahn abgezogen, jene Fahrgäste nämlich, die innerhalb Deutschlands noch weiter in den Norden wollen.

Wenn langfristig der innerdeutsche Fernverkehr nach Norden über die Gäubahn laufen soll, welche Berechtigung hat dann der IR auf der Schwarzwaldbahn? Der InterRegio, so überschlug Grosse, koste die Bahn im Jahr 15 Millionen Mark. Da der IR ein Zug des Fernverkehrs ist, muß ihn die Bahn allein betreiben, anders als für den Nahverkehr gibt es für den Fernverkehr keine Zuschüsse vom Land. So sieht es die Bahnreform vor. Den InterRegio über den Schwarzwald durch attraktive Angebote des Nahverkehrs zu ersetzen und dafür Landessubventionen zu kassieren, stellt für die Bahn eine große Verlockung dar. Das Land, das dieses Geld nicht aufbringen möchte, hat daher selbst ein großes Interesse, für den Erhalt des IR zu kämpfen. Die Gemeinden entlang der Schwarzwaldbahn kämpfen natürlich an der Seite des Landes für den InterRegio. Eine Interessengemeinschaft hat sich gegründet.

Schon scheint festzustehen, daß die Bahn den letzten Abend-InterRegio aus Norden (IR 2575) streicht. Ein Einstieg in den kompletten Ausstieg der Schwarzwaldbahn aus dem Fernverkehr? Die aktuellen Entwicklungen sehen alles andere als rosig aus. Aber wie sehen die künftigen Möglichkeiten aus? Grosse nennt gleich mehrere Punkte, die dem "IR 19" durch den Schwarzwald eine neue Existenzberechtigung geben könnte. Er müsse Teil eines touristischen Gesamtkonzepts werden. Direktzüge aus dem Ruhrgebiet während der Hauptferienzeiten im Sommer und Winter gehören ebenso zu diesem Konzept wie eine gescheite Vernetzung des Zuges mit anderen Bahnen und Bussen zu den touristischen Höhenpunkten wie Feldberg, Triberger Wasserfälle, Uhrenmuseum Furtwangen, Vogtsbauernhöfe. Hier sieht Grosse die Pflicht der Anrainergemeinden, entsprechende Angebote gerecht zu vermarkten.

Für den Rest des Jahres geben es Chancen, den Frankreichverkehr über die Schwarzwaldbahn zu forcieren. Eine vernünftige Regionalbahn-Anbindung von Offenburg nach Strasbourg und dem dortigen Flughafen erschlösse den Schwarzwaldbahnfahrern schnelle Anschlüsse an das französische TGV-Netz, meint Grosse. Gäubahn und Schwarzwaldbahn bleiben weiterhin Stiefkinder der Bahn. Aber wenn das Land und die Gemeinden den Druck auf das "Unternehmen Zukunft" erhöhen - zum Beispiel auch dadurch, daß sie der Bahn mit dem Entzug von Nahverkehrsleistungen drohen - und zugleich selbst vernünftige, finanzierbare Vorschläge unterbreiten, sollte eine Neubelebung dieser Strecken gelingen können.